SEHEPUNKTE - Rezension von: Music in Golden-Age Florence, 1250-1750 (2024)

SEHEPUNKTE - Rezension von: Music in Golden-Age Florence, 1250-1750 (1)Gut 30 Jahre nach Erscheinen von Anthony M. Cummings Monografie The Politicized Muse: Music for Medici Festivals, 1512-1537 [1] liegt eine neue Arbeit von ihm vor, die auf methodischer Ebene eine Art Fortsetzung darstellt, auf inhaltlicher als Ausweitung verstanden werden kann. In beiden Bänden steht die Stadt Florenz mit ihren charakteristischen Klangwelten im Zentrum. Die Begriffe "acoustical landscape" oder "soundscape" werden, wie in der Musikwissenschaft üblich, im engeren Sinn der städtischen Soundscape-Forschung verstanden (XV) und umfassen lediglich Kunstprodukte und keine Umgebungsgeräusche, wie etwa Glockengeläut oder Pferdewiehern. Die Rekonstruktion dieser Klangwelten dient Cummings als Ausgangspunkt dafür, die europäische Musikgeschichte aus der Perspektive von Florenz zu erzählen. Es geht nicht ausschließlich um florentinische oder italienische Komponisten, sondern insgesamt um solche Musiker und Werke, die das klingende Bild der Stadt mitgestalteten. Auf zwei zentrale Ereignisse verweist der Autor jedoch bereits zu Beginn des Vorworts: die Erfindung von Madrigal und Oper im 16. und die des modernen Klaviers zu Beginn des 18. Jahrhunderts (XIII).

In The Politicized Muse bezog sich Cummings, Professor für Musik und Koordinator des Studiengangs Italian Studies am Lafayette College, auf einen auf 25 Jahre begrenzten Abschnitt von Musik für öffentliche Festveranstaltungen der Medici-Familie. Weit darüber hinausgehend umfasst sein Betrachtungszeitraum in Music in Golden-Age Florence - der Buchtitel entstand in Anlehnung an den Kunsthistoriker Gene Brucker und sein Buch Florence: The Golden Age, 1138-1737, Berkeley 1984 [2] - fünf Jahrhunderte. Cummings durchläuft sie chronologisch aufgeteilt auf vier Kapitel ("Books").

Im ersten wird die Musik des 13. und 14. Jahrhunderts zusammengefasst: Music in Late-Medieval Florence: The Duecento and Trecento. Music and the Ecclesiastical and Political Organization of the Late-Medieval City. Zwischen kirchlichen und politischen Strukturen bewegt sich beispielsweise die Laufbahn von Francesco Landini (3. Secular Polyphony: Francesco Landini and the Central Florentine Tradition). Der blinde Organist ist einer der bekanntesten Florentiner aus dieser Zeit und genoss als Musiker eine große Reputation über die Stadtgrenzen hinaus. So sind sein Besuch Venedigs und die dortige Verleihung des Lorbeerkranzes durch den Dogen Andrea Contarini und den König von Zypern glaubhaft überliefert. Ein Portrait Landinis ist in Form einer Miniatur des sogenannten Squarcialupi-Kodex erhalten, die bei Cummings sowohl im Text als auch unter den acht farbigen Abbildungen des Buchinnenteils abgedruckt ist. In ihr findet man alle genannten Attribute Landinis wieder: Orgelspieler (Portativ), Blindheit (geschlossene Augen), Auszeichnung (Lorbeerkranz).

Die musikalische Struktur der auch von Landini gepflegten poetisch-musikalischen Gattung der Ballata hätte noch etwas schärfer umrissen werden können. Hierzu hätte der Begriff volta, der auch in den Textübersichten erscheint (49, 39), einer Erläuterung bedurft. Der Text der volta schließt zum einen mit seinem Reim an die vorangehende Strophe an, ist musikalisch jedoch komplett mit der ripresa identisch, in seinen letzten Versen ebenfalls bezogen auf den Text oder zumindest auf den Reimausgang. Die Unterlegung des volta-Textes in den jeweils zweiten Zeilen der ripresa-Teile in den Notenbeispielen Ex. 3.1 und Ex. 4.1 hätte dies veranschaulicht.

Das Herzstück des Buches bildet die Musik der Renaissance und ihre Verflechtungen mit der Familie Medici in zwei Kapiteln: Music in Renaissance Florence I: The Quattrocento. Aristocracy Emulated: The De Facto Medici Regime und Music in Renaissance Florence II: The Cinquecento. Aristocracy Achieved: The De Jure Medici Regime, Family as Country, and 'Florentinism'. Cummings beweist sich hier einmal mehr als Spezialist des italienischen Cinquecento und kann sich auf zahlreiche seiner früheren Publikationen zum Thema beziehen.

Im abschließenden Kapitel zur florentinischen Musik des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts (Music in Florence in the Baroque Era. Cross-Genre Influences: Monody, the Stile Recitativo, and the Stile Concertato in Florentine Music of the Seicento and Early Settecento) geht Cummings in einem der zahlreichen Unterkapitel auch auf die Entwicklung des modernen Klaviers ein. Im Mittelpunkt steht allerdings die Oper. Der Autor tritt hier dem Vorurteil entgegen, Florenz habe nach der Erfindung der Gattung keine weiteren Beiträge dazu geleistet. Entscheidend ist dabei nicht die Frage nach Meisterwerken oder Werken von Kleinmeistern. (Das deutsche Wort Kleinmeister wird an mehreren Stellen im Buch übernommen und irritierenderweise immer in der deklinierten Form "Kleinmeistern" gebraucht.) Wesentlich aufschlussreicher sind etwa Beobachtungen zu den spezifischen Aufführungsbedingungen und -orten der florentinischen Oper sowie zu ihren Unterschieden zu venezianischen Inszenierungen (zum Beispiel mit Blick auf die Bühnenmaschinerie, 291).

Neben den zahlreichen Abbildungen und den knapp 20 Notenbeispielen sind für den Leser insbesondere auch das angehängte Namens- und Sachregister und die umfangreiche Bibliographie nützlich. Literaturangaben sind somit leicht nachzuschlagen und nicht nur in den Endnoten versteckt.

Was in Bezug auf den früheren Band von Cummings hervorgehoben wurde - "The thesis is hardly new, but this synthesis of available material into a readable account [...] is indeed original" [3] -, trifft auch hier zu. Es gibt kaum gänzlich neue Beobachtungen. Es geht dem Autor vielmehr um die Synthese aktueller interdisziplinärer Forschungsergebnisse einerseits und um eine ausgewogene Darstellung lokaler und globaler Phänomene sowie deren adäquate Kontextualisierung innerhalb des musikhistorischen Narrativs andererseits (XVI).

Dieses Vorhaben ist rundum gelungen und kann nicht hoch genug geschätzt werden. Erst durch die Zusammenschau vieler solcher lokaler Musikgeschichten entsteht ein facettenreiches Gesamtbild. Dabei dürfte das Buch nicht nur für Musikwissenschaftler mit Gewinn zu lesen sein, denn es leistet einen gewichtigen Beitrag auch zur Kulturgeschichte der Stadt Florenz und darüber hinaus.


Anmerkungen:

[1] Anthony M. Cummings: The Politicized Muse: Music for Medici Festivals, 1512-1537, (Princeton Essays on the Arts), Princeton 1992.

[2] Gene Brucker: Florence: The Golden Age, 1138-1737, Berkeley 1984.

[3] Barbara R. Hanning: Rezension Anthony M. Cummings: The Politicized Muse: Music for Medici Festivals, 1512-1537, (Princeton Essays on the Arts), Princeton 1992, xvi, 260, in: American Historical Review 98/5 (1993), 1643-1644: 1643.

Stephanie Klauk

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